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Pop-Up Erinnerungen

Manchmal macht es blob und eine Erinnerung aus lang vergangnen Tagen springt grundlos in mir auf. Oft kann ich nur staunen was da in meiner Vergangeheit bereit liegt um mich unerwartet an mich selbst zu erinnern. Alles ganz normal, alles ganz unaufgeregt. Diese kleinen Vergagenheitsinseln landen nun hier. Vielleicht müssen sie dann nicht mehr aufpoppen.

Schnippelfix und Zauberwatte

Veröffentlicht am 14. November 2020 von Pop-Up Erinnerungen

Schnippelfix und Zauberwatte

Häkeln, Stricken, Nähen. Kein Schulkind Anfang der 70er Jahre kam um diese Disziplinen herum.

Montags, gleich nach der Turnstunde, befahl der Stundenplan Handarbeit und so mühten ich mich einmal wöchentlich, noch schwitzend von der Turnhalle damit ab, möglichst gleichmäßige Kreuzstiche auf hellbraune Stoffstreifen zu fabrizieren. Mit klebrigen Fingern kein Vergügen.

 

Meine Mutter, rettete das Ansehen der Handarbeiterei. Viel geduldiger als die strenge Lehrerin, lehrte sie mich ganze und halbe Stäbchen zu häkeln, sogar das schwierige Problem Maschen auf eine Stricknadel aufzunehmen, konnte ich dank ihrer Hilfe bald lösen.

 

Noch frei von allem Multimedia, fühlte ich mich vom Versuch, aus einem Stück Schnur etwas entstehen zu lassen, durchaus unterhalten. Es gab reichlich Wollreste aus welchen nach und nach, viele kleine, bunte Dinge entstanden. Ich schaute neugierig zu, was da in meinen Händen entstand und brauchte dann nur hinterher häkeln,

 

Die Zeit verging, Handarbeiten tauchte schon bald nicht mehr in meinem Stundenplan auf. Die Lust am Stricken und Häkeln aber blieb mir erhalten und flackerte immer wieder auf. Eine Zeit lang waren Zipfelmützen groß in Mode. Mit den Freunden (in der Mehrzahl Freundinnen) ließen wir uns auf den Trend ein, bewaffneten uns mit Nadelspielen und strickten immer mutigere, schrillere Zipfelmützen. Zuerst fiel die Bommel auf die Schultern, dann reichten sie bis auf den Rücken, bis zum Po und schließlich baumelten uns die Mützenspitzen bis hinunter zu den Kniekehlen.

 

Strickende Jungs waren damals doch eher eine Seltenheit. Gerade richtig für mein pubertäres Bedürfnis nach Andersartigkeit. So war ich stets mit meinem Strickzeug anzutreffen und aus den ersten Mützen wurden Pullunder und Pullover, sogar ganze Mäntel glitten von meinen Nadeln. Immer aus revolutionären kunterbunten Wollresten, stets viel zu groß und von gleichem Schnittmuster. Zusammengenähte Rechtecke aus sich willkürlich ändernden Strickmustern und Farben. Natürlich ließ ich es mir, zum entsetzen meiner Mutter und dem Vergnügen meiner Freunde, nicht nehmen die Prachtstücke auch zu tragen. Bald war ich in meinem Städtchen ein bekannter Farbklecks und wurde schmunzelnd von allen Seiten mit Wollresten beglückt.

 

Eines Tages, es war im Dezember, bat mich die Mutter einer Freundin um einen Gefallen. Ich solle doch in den örtlichen Bestellladen gehen und dort für sie eine Bestellung mit „Schippelfix“ und „Zauberwatte“ abholen. Zuerst war ich sogar auf der richtigen Spur und hielt die Sache für einen Scherz. Schnippelfix, Zauberwatte, davon hatte ich noch nie gehört und es erschien mir doch recht zweifelhaft, ob es sich um ein ernsthaftes Anliegen handeln könnte. Aber meine Freundin und ihre Mutter redeten auf mich ein. So etwas bräuchte man für allerlei Bastelarbeiten und es wäre wirklich wichtig, da ein Basar vor der Tür stünde und wegen der Dringlichkeit der Sache müsse ich auch sofort los.

Als freundlicher, netter Junge willigte ich schließlich ein. Angetan in gewohnter Manie, mit dickem XXL Pullover meiner speziellen Machart unter einem ärmellosen langem Strickmantel und freilich, auf dem Kopf eine Zipfelmütze an deren Ende eine gewaltige Bommel um meine Waden tanzte, machte ich mich mitsamt meiner Freundin auf den Weg durch die Innenstadt.

 

Angekommen im Laden wurden wir schon erwartet und vergnügt rief mir eine ausgiebig dekorierte Handarbeitsfachfrau hinter dem Tresen entgegen: „Da ist ja der Junge Mann für den großen Sack“ und zu meiner Begleiterin mit einem Zwinkern: “Es ist alles vorbereitet, einen Augenblick“. Mit einem heiteren Liedchen zwischen den Lippen verschwand sie im rückwärtigen Bereich und erschien wenige Augenblicke später mit einem prall gefüllten, braunen Papiersack. Den stellte sie vor mir ab und war sich sicher, ich sei der richtige Mann für diese Aufgabe. „Werfen sie ihn einfach über die Schulter, das ist am bequemsten.“ Am oberen Ende war er mit einer langen dicken Kordel wie ein Bonbon zugebunden. Federleicht wie er war schuppte ich ihn ohne Mühe über mich und war bereit. Die Spenderin betrachtete mich eingehend mit kaum sichtbarem Kopfschütteln, „Unglaublich“, „Perfekt!“. „Ich hole mir meinen Mantel und gehe ein Stück mit euch“, meinte sie, „das ist zu hübsch“.

Inzwischen hatte zu schneien begonnen. Was für ein vorweihnachtliches Idyll. Fast meinte man die Fanfaren eines Posaunenchores zu hören. Überwältigt von so viel Feierlichkeit bestanden meine nun zwei Begleiterinnen darauf den Weihnachtsmarkt zu besuchen. Also unternahmen wir den Umweg, zumal die freundliche Handarbeitsfachfrau einen Becher Glühwein in Aussicht stellte. Zum Glück, war der Markt zu diesem Zeitpunkt nur schwach besucht. Es wäre recht ungemütlich gewesen mich durch zahlreiche Besucher zu zwängen. Der Sack war riesig. Vor mich gestellt, reichte er mir bis hinauf zum Bauchnabel und maß meine zweifache Breite.

 

Ich war nie ein Blitzmerker, dafür aber wirken späte Erkenntnisse umso kräftiger in mir.

Der Nikolaus! Der Nikolaus!“ Erst der ausgestreckte Zeigefinger eines Kindes ließ mich meiner Erscheinung gewahr werden.

Das herzhafte Lachen um mich herum, die Blicke der Passanten, das vergnügte Quietschen des Kindes nebst Familie. Der Glühwein, der Schnee, der Sack. Schnippelfix! Zauberwatte!

 

Sie hatten mich verarscht.

Knallhart und vorgeführt.

Quer durch die Stadt, mitten hinein in die allerbeste Kulisse für ein paar Fotos vom alternativen Nikolaus.

Ein kleiner Weihnachtsspaß.

 

Und die Moral der Geschichte: Wer sich anständig kleidet, dem passieren solche Sachen nicht.

Wäre doch schade!

 

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