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Pop-Up Erinnerungen

Manchmal macht es blob und eine Erinnerung aus lang vergangnen Tagen springt grundlos in mir auf. Oft kann ich nur staunen was da in meiner Vergangeheit bereit liegt um mich unerwartet an mich selbst zu erinnern. Alles ganz normal, alles ganz unaufgeregt. Diese kleinen Vergagenheitsinseln landen nun hier. Vielleicht müssen sie dann nicht mehr aufpoppen.

Als ich einmal Schuster werden wollte

Veröffentlicht am 24. Juli 2020 von Pop-Up Erinnerungen

Als ich einmal Schuster werden wollte

Zu Zivi-Zeiten, lernte ich in einer Eckkneipe Günther kennen. Ein Herr mittleren Alters, der gerne und bunt von seinen Erlebnissen im Management einer weltweit erfolgreichen Schustereikette erzähle. In seiner Gesellschaft gab es immer zu lachen und gelegentlich ein Freibier. Mit einer Handvoll Leuten, verbrachten wir fröhliche Abende am Tresen, besuchten uns gegenseitig oder unternahmen kleine Ausflüge. Für eine Weile teilten wir unsere Leben. Eine freundliche Kneipenrunde.

Irgendwann ging mein Zivildienst zu Ende.
Rundum versorgt, war ich ganz in der Rolle des Zivis aufgegangen, zu sehr mit leben beschäftigt, um nach vorne zu schauen. Das plötzliche Ende meiner Dienstzeit überraschte mich entsprechend hart.


Günther war zur Stelle. Ein Job in seinem Unternehmen sollte mich aus der Krise holen. Ehe ich mich umsehen konnte, fand ich mich in rotem Kittel gekleidet im Eingangsbereich eines Einkaufszentrums wieder. Hinter einem Tresen mimte ich einen freundlichen Fachmann der Flickschusterei.
Der Umgang mit Schleifmaschine, Klebstoff und Co jedoch fiel mir schwer. Dem Schuhwerk tat es nicht gut in meine Hände zu geraten. Scharten und Kannten, und oh weh, schief aufgeklebte Sohlen. Zwar stand für problematische Fälle eine extra zähe Füllmasse zur Verfügung, mit welcher die gröbsten Schnitzer kaschiert werden konnten. Ein Notbehelf, zu nichts nütze als dem arglosen Kunden den Pfusch unbemerkt unterzujubeln. Ich lieferte schlicht schlechte Arbeit.
So stand ich, Ton in Ton mit dem Kittel. hochrot vor den Kunden und verbog hingebungsvoll Nägel an Absätzen.

Günther hatte mir von einem Vorgänger erzählt. Der war ähnlich begabt wie ich und wirklich, ich verstehe ihn. Nach wochenlangem Hohn und Spott, hatte er eines Morgens unvermittelt genug. Mit dem Schusterhammer schlug er seinen letzten Kunden nieder.
Ich dagegen überstand dank meines Protegés den ersten Gehaltsscheck ungekündigt.

 

In der Hoffnung auf Verbesserung versuchte es Günther in einer andern Niederlassung mit mir. Gleich am ersten Tag dort geriet ich in einen Streik der Kaufhausbelegschaft. Es fehlte also an Kunden, das Kaufhaus war geschlossen. Mit dem Filialschuster verstand ich mich trotz Verspätung auf Anhieb. Da es an Arbeit fehlte, stand auch mein mangelndes Talent der guten Atmosphäre nicht im Wege. Wir plauderten angeregt über die Firma, die Vorgesetzten, die Löhne und natürlich die großartigen Aufstiegschancen im Unternehmen. Wie stets, verschwieg ich meine Bekanntschaft mit einem der Bosse.
Da keine Aussicht auf Kunden bestand, ordnete der freundliche Chef an, die Arbeitszeit in die nächste Kneipe zu verlegen. Mein erfolgreichster Arbeitstag in diesem Unternehmen. Der Chef zahlte die Zeche und ich soff ihn locker unter den Tisch. Sehr zufrieden mit mir, verlangte er, den nächsten Arbeitstag gleich in der Kneipe zu beginnen. So ein Streik dauere schließlich.
Sehr gerne!
Anderntags verteidigte ich meine Handwerkerehre und zechte meinen Vorgesetzten wiederum nieder. Am dritten Tage war mein neuer Freund entlassen und ich erneut versetzt.

 

„Um mich optimal zu fördern“, so der Wortlaut aus der Zentrale, wurde ich in eine der besten Ausbildungsfiliale des Unternehmers geschickt. 50 Km von meinem Wohnort entfernt, dafür aber unter den Fittichen eines besonders erfahrenen Meisters. Dieser empfing mich mit festem Händedruck, stellte mich den anderen Sorgenkindern vor und führte mich anschließend auf ein erstes Gespräch in die Kantine . Dort, bei Kaffee und Kuchen, redete er viel über die Kunst der Schuhreparatur. Er erklärte, wie nur ein stolzer Handwerksmeister erklären kann.

Eine vorbeikommende Bekannte stoppte seine Rede. Wie es so geht, die beiden hatten sich viel zu sagen.

Ich trank meinem Kaffee, zeigte ein nettes Gesicht und freute mich dabei, der ungeliebten Kleisterei noch eine Weile zu entgehen. Am Nachmittag folgte ich gerne der meisterlichen Anweisung ganz genau zuzusehen. Ein weiterer Arbeitstag ohne verklebte Finger.


Das Schicksal wollte keine Schwielen an meinen Händen und fügte, dass die ehemalige Zivildienststelle viel näher an jenem Arbeitsplatz lag, als mein Zuhause.
Amüsiert über meinen beruflichen Werdegang, luden mich die alten Kollegen ein, den Weg zu sparen und während der Schulung bei ihnen in der Dienstwohnung zu nächtigen. 

Unbedingt!

 

Das Wiedersehen mit den Freunden, die neuen Gesichter, das gute Bier.
Die Sorglosigkeit hatte mich wieder. Drei Tage später, gegen Mittag, erwachte ich fröstelnd im erkalteten Wasser einer Badewanne.

Zu Hause zurück, lag nun auch meine Kündigung im Briefkasten. Eintritt ins Berufsleben auf ein andermal vertagt.


P.S.

So kam es, dass ich kein Schuster wurde. Aber, immerhin, noch heute weiß  ich, was einen Schusterhammer ausmacht.

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